Unser LeNa-Tagebuch in Zeiten von Corona

Vom 21. März bis zum 27. Juni 2020

21.3.2020 Die Veränderungen vollziehen sich so überraschend und rasend schnell, dass uns schwindelt. Nur zehn Tage ist es her – auf unserem letzten Plenum, am 10. März, spielt „Corona“ nur am Rande eine Rolle. Viele von uns, Erwachsene und Kinder, gehen fröhlich ins Kino, um die „Känguru-Chroniken“ zu sehen. Und plötzlich dieses neue Virus, das unsere Welt bedroht. Wie gefährlich ist es? Die einen waren alarmiert, andere hielten die Sorge eher für übertrieben. Nicht zuletzt dank der Fachleute in unserer Community – drei Ärzte und ein Mikrobiologe – landen wir auf dem Boden der Realität.

Wir treffen uns ab jetzt draußen, stellen uns in einem weiten Kreis rund um die Sandkiste auf und beraten: Abstand halten, gegenseitige Hilfe, Veranstaltungen im Gemeinschaftsraum absagen; auch das Treffen der kurdischen Freunde, die auf dem Grundstück das Nawruz-Fest feiern wollten.

Am 16. März schließen in Lüneburg die Schulen, die ersten Erwachsenen sind schon im homeoffice.

Wohin mit den Kindern? Wie schützen wir Alte und Kranke?

Einkaufsdienste – für uns als Community eine leichte Übung, das klappt wunderbar.

Am Horizont stehen bereits die Nöte unserer Freiberufler, die Idee eines Solidaritätsfonds kommt auf.

Immer besorgter verfolgen wir die Nachrichten, unter anderem den Blog des Berliner Virologen Christian Drosten.

Von Stunde zu Stunde wird deutlicher, wie verheerend die Auswirkungen der Pandemie sein könnten. Dass wir uns auf eine lange, vielleicht sehr lange Zeit einstellen müssen, und kein Ende in Sicht. Angst breitet sich aus, und eine große Ratlosigkeit. Es wird unheimlich still in der Stadt, auch auf unserem Grundstück. 

Am 17. März um 18:30 versammeln wir uns erstmals zum gemeinschaftlichen Singen im Garten und auf den Balkonen: „Abendstille überall“, „Der Mond ist aufgegangen“, bei einigen fließen Tränen. 

 

Schon einen Tag zuvor hat uns die dreizehnjährige Marie mit einem Motivationsspruch überrascht: „Wenn du nicht an Wunder glaubst, hat du vielleicht vergessen, dass du selbst eines bist.” Seitdem bekommen wir täglich per Mail einen Spruch von ihr.

Am 21. März haben wir ein Tagebuch begonnen. Ein Experiment, wie alles gerade, was wir unternehmen. Aufschreiben, was passiert bei LeNa:

– Wie durchleben wir diese Zeit?

– Was macht sie mit uns?

– Wie bewährt sich unser Wohnprojekt im Ausnahmezustand?

Ein Alltagsprotokoll könnte uns helfen, den Faden nicht zu verlieren, und später rückblickend den Prozess zu verstehen. Außerdem möchten wir Mut machen, Ideen mit anderen teilen. Uns im gemeinsamen öffentlichen Nachdenken vorbereiten auf die Zeit DANACH.

„Wir werden durch Corona unsere gesamte Einstellung gegenüber dem Leben anpassen – im Sinne unserer Existenz als Lebewesen inmitten anderer Existenzformen.“ Schreibt Mitte März der aus Slowenien stammende populäre Philosoph Slavoj Zizek. Wir haben die Chance zu einem „system reset“, so der Zukunftsforscher Mathias Horx.

Schon einen Tag zuvor hat uns die dreizehnjährige Marie mit einem Motivationsspruch überrascht: „Wenn du nicht an Wunder glaubst, hat du vielleicht vergessen, dass du selbst eines bist.” Seitdem bekommen wir täglich per Mail einen Spruch von ihr.

Am 21. März haben wir ein Tagebuch begonnen. Ein Experiment, wie alles gerade, was wir unternehmen. Aufschreiben, was passiert bei LeNa:

– Wie durchleben wir diese Zeit?

– Was macht sie mit uns?

– Wie bewährt sich unser Wohnprojekt im Ausnahmezustand?

Ein Alltagsprotokoll könnte uns helfen, den Faden nicht zu verlieren, und später rückblickend den Prozess zu verstehen. Außerdem möchten wir Mut machen, Ideen mit anderen teilen. Uns im gemeinsamen öffentlichen Nachdenken vorbereiten auf die Zeit DANACH.

„Wir werden durch Corona unsere gesamte Einstellung gegenüber dem Leben anpassen – im Sinne unserer Existenz als Lebewesen inmitten anderer Existenzformen.“ Schreibt Mitte März der aus Slowenien stammende populäre Philosoph Slavoj Zizek. Wir haben die Chance zu einem „system reset“, so der Zukunftsforscher Mathias Horx.

Unsere kleine Redaktion besteht aus: Frauke, von Beruf Lehrerin (43 Jahre), Wini und Ulla als Journalisten (ein Paar, beide 69 Jahre). Wir drei führen die Chronik, spinnen den roten Faden. Wie wir das hinkriegen und wie lange, wird sich zeigen. Dazu Stimmen von Nachbarn und Nachbarinnen, die schreiben oder deren Gedanken wir aufzeichnen. Nach Möglichkeit Bilder, Fotos und Dokumente aus dem Leben der Community und Nachbarschaft. Am 21. März 2020 geht es los!

 

Ostern 2020

Statt Frauke gehört nun Polly (40 Jahre) zum Redaktionsteam. Sie ist Ethnologin und systemische Organisationsberaterin, Mutter von zwei noch nicht schulpflichtigen Kindern. Ab jetzt erscheint unser Tagebuch zweitägig.

Pfingsten 2020

Nach gut zwei Monaten stellen wir unser Tagebuch vorerst ein. Eine intensive Zeit des Zusammenlebens geht zu Ende. Durch die Lockerung der Corona-Regeln sind die meisten Erwachsenen und Kinder in ihren Alltag zurückgekehrt. „Normal“ ist er noch lange nicht, doch für unser Tagebuch haben wir jetzt keine Zeit mehr und keinen Bedarf. Demnächst wird es einen letzten Eintrag geben – eine persönliche Bilanz der vier Redakteur*innen.

Ende Juni 2020

Fast wäre der geplante Rückblick im Alltag untergegangen. Nun sind die Texte der vier Redakteur*innen fertig – ein etwas melancholischer Abschied, zugleich froh gestimmt, weil unsere gemeinsame Arbeit sinnvoll war. Es kann durchaus sein, dass wir das Tagebuch wieder öffnen … – zu positiven Anlässen hoffentlich.

Noch ist die Situation fragil, zwei westfälische Landkreise sind wegen des Corona-Ausbruchs im Großschlachthof Tönnies wieder im shutdown. Und eine zweite Welle im Herbst gilt als wahrscheinlich.

Clara hat uns ein Gedicht von Hilde Domin geschenkt, ihre Verse in einem Büchlein künstlerisch gestaltet. Eine Ermutigung und für manche von uns auch eine Erinnerung an den schönen Filmabend über die Lyrikerin vor nicht allzu langer Zeit.

Nicht müde werden

sondern dem Wunder 

wie einem Vogel

leise

die Hand hinhalten

 

27. Juni 2020 – Rückblick

  „Ich schwimme!“ ruft Günter, während er losrennt, nächste Angabe Heiko und – „Mist, den Ball nicht bekommen, ich bin raus!“ Das Geklacker des Tischtennisballs auf der Platte samt zugehörigem Rufen und Gelächter schallt nun zu fast jeder Tageszeit über das...

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23. Mai 2020 – Lachen

„Lege Dein Unglück unter einen dicken Stein und gehe singend und lachend weiter“. An diesen Satz muss ich neuerdings denken, wenn ich an dem riesigen Findling vorbeigehe, der unsere Westeinfahrt schmückt. Er kommt in einer lettischen „Daina“ vor, einem alten...

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20. Mai 2020 – Kreativität

Auf dem Beet der Ost-Ausfahrt liegt ein toter Maulwurf. Falls ihn jemand seinem Kind zeigen will, kann es noch bis morgen Mittag passieren. Später begrabe ich ihn“, schreibt Brigitte gestern Abend an alle. Und so beginnt der heutige Tag damit, dass Thommy, Ada und ich...

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17. Mai 2020 – Tiere

„Das kleine weiße Ding. Das muss eingestöpselt werden“, erklärt mir Paulina (7) und zeigt mit dem Finger auf zwei ineinander verschlungene Schnecken. „Das kann dauern.“ Wir beugen unsere Köpfe über die schwarze Plastikwanne, die Paulina, Ella (5) und Lotta (5) zu...

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14. Mai 2020 – Berufliches

Die Eisheiligen sind fast vorbei, morgen noch, dann hoffen wir wieder auf etwas wärmeres Wetter. Ihnen ist wohl auch geschuldet, dass sich das Leben wieder mehr nach drinnen verlagert hat – zumindest das der Erwachsenen. Die Kinder sind nach wie vor in allen Ecken des...

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11. Mai 2020 – Kostbarkeiten

Pünktlich mit dem ersten Eisheiligen (Mamertus), ist die Kaltfront da - bis Freitag soll die Polarluft das Wetter bestimmen. Gestern haben wir die letzten Sonnenstunden in vollen Zügen genossen – und die Freiheit, uns weiträumiger zu bewegen. Kaffeerunden auf dem...

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9. Mai 2020 – Befreiung

Heute war ein „normaler“ Frühlingssamstag bei LeNa. Schönes Wetter, sonnig und warm, schon früh am Morgen buddeln die ersten ein wenig rund um ihre Terrassen, fahren mit dem Rad zum Wochenmarkt oder sind mit Balkon oder Schrebergarten beschäftigt. Nachmittags sitzen...

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7. Mai 2020 – Gedenken

Ein kalter, zugiger Tag. Am frühen Nachmittag erst tauchen im Garten die ersten Kinder auf. Hinter den Kulissen laufen Vorbereitungen für die morgige Gedenkstunde zum 8. Mai. Im Flur von Haus 1 entdecke ich eine Friedensfahne. Unter der alten Eiche liegen bäuchlings,...

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5. Mai 2020 – Normalität

„There is no normal life, only life.” Diesen Satz habe ich gestern gelesen und seitdem geht er mir nicht mehr aus dem Kopf. (Im Buch, ein schnulziger Liebesroman, der während des Amerikanischen Bürgerkrieges spielt, sagt ihn der zynische Arzt im Feldlazarett zur...

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3. Mai 2020 – Kriegsende

Vor fünfundsiebzig Jahren kapitulierte das nationalsozialistische Deutschland, nach zwölf Jahren Faschismus und Krieg. Wie nahe ist uns diese Zeit noch, oder wie fern? Hier bei LeNa? Die Biografien der Älteren sind davon geprägt, drei von uns sind noch im Krieg...

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1. Mai 2020 – Solidarität

„Solidarisch ist man nicht alleine“ lautet das diesjährige Motto der Gewerkschaften zum 1. Mai. Für viele von uns war der Tag anders als in den letzten Jahren, und nicht unbedingt einfacher. Die Demos fielen aus oder fanden in kleinerem und anderem Rahmen statt. Lange...

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29. April 2020 – Hühner

Die Hühner sind da. Das ist gerade DIE NACHRICHT hier bei LeNa, zumindest für die jüngeren (na, und auch durchaus einige von uns älteren). Gestern und heute sieht man immer wieder nicht nur die Kinder, sondern auch nach und nach viele Erwachsene Richtung Hühnergehege...

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27. April 2020 – Maskerade

Es fing spielerisch an: Mit einem Fotoshooting im Garten, am Samstagabend, vor dem gemeinsamen Singen. Viele hatten ihre Masken mitgebracht. Staunen, Witzeln. Fremdheit, Vertrautheit. Ein Gruppengefühl der neuen Art. In Blicken und kurzen Wortwechseln (wenn gerade...

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25. April – Aktiv sein

Jeden Tag Pfadfinderlager auf dem Rasen: Ella und Paulina, manchmal auch Lotta breiten ihre Decken aus, dazu ein Regenschirm (gegen die pralle Sonne), Kissen. Wechselnde Requisiten wie Schminkkasten, Kuscheltiere, Picknickteller. Heute haben sie zwei Schnecken...

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