Die Eisheiligen sind fast vorbei, morgen noch, dann hoffen wir wieder auf etwas wärmeres Wetter. Ihnen ist wohl auch geschuldet, dass sich das Leben wieder mehr nach drinnen verlagert hat – zumindest das der Erwachsenen. Die Kinder sind nach wie vor in allen Ecken des Gartens unterwegs. Den seit heute – dank Claudia – eine Hängematte mit Gestell ziert. Man muss es sich ja schön machen, wo wir uns vermutlich alle auf einen Sommer zu Hause einrichten.
„Das Gelingen ist manchmal das Endresultat einer ganzen Reihe missglückter Versuche“ hat uns Marie neulich geschrieben. Das stimmt zuversichtlich, dass alles, was uns gerade nicht so gut gelingt, doch für irgendetwas gut sein soll. Mein Eindruck ist, dass viele von uns sich nach – vielleicht auch als missglückt erlebten Versuchen, sich mit der Situation zu arrangieren – nun irgendwie in der Situation eingerichtet haben. Auch wenn es uns nicht immer gut gehen mag oder Dinge misslingen: wir kommen klar und beißen uns durch. Haben neue Balkonmöbel, Familienalltag im Schichtplan, denken immer an unsere Maske und gehen mal öfter kurz durch den Wald. Das denke ich, als ich kurz mit Frauke spreche, die gerade vom zweiten Präsenztag in der Schule zurückkommt. Oder als mich Mareike darauf anspricht, wie wir uns die Zeiten im Gemeinschaftsbüro einteilen.
Ich kann gar nicht so viel über die letzten paar Tage schreiben, denn ich habe viele Stunden in Videokonferenzen verbracht – neue Realität in Zeiten des Home Office. Zum Glück haben wir Gemeinschaftsraum und Gemeinschaftsbüro, denn wenn zu viel „Home“ ins „Office“ schwappt, lässt sich gut dahin ausweichen und einige Stunden in Ruhe arbeiten.
Um Berufliches geht es heute auch in unseren Beiträgen. Margarete gibt uns einen Einblick in ihre Gedanken rund um ihre Arbeit als Selbständige. Charly hat sich nach vielen Jahren von seiner Imkerei verabschiedet und sinniert darüber, was sich bei ihm sonst noch geändert oder auch nicht geändert hat. Und Heiko denkt vor dem Hintergrund seines beruflichen Tuns darüber nach, wie die Krise zu einer Chance für unser Wirtschaftssystem werden könnte.
Polly

Stimmen – Beiträge – Interviews

Margarete

Es gibt Tage, da vergesse ich beinahe die „Corona- Zeit“ mit ihren vielen negativen Auswirkungen. Morgens den Tag mit Chi Gong in der Sonne beginnen, dann in die Werkstatt fahren und den Tag über konzentriert vor mich hin zu arbeiten. Ganz offensichtlich haben die Menschen trotz Lockerungen keine große Lust einzukaufen, daher werde ich selten „gestört“. Am Abend vielleicht noch ein kleiner Spaziergang mit einer Nachbarin oder Freundin in der Abendsonne. Ja, solche zufriedenen Tage gibt es manchmal.
Dann sind da die Tage, an denen die Riesenungewissheit über unsere Zukunft, über meine berufliche Existenz und den dazu gehörenden finanziellen Ängsten fett und schwer auf meinen Schultern hocken und auf mein Gemüt drücken. Diese Sorgen sind sehr real, helfen mir aber im Moment nicht wirklich weiter! Daher versuche ich, mir nicht zu viele düstere Gedanken zu machen – klappt mal schlechter und mal besser.
Heute sprach ich mit meiner Kollegin, wie viel Kontakt wir bei der Arbeit nach den neuen Lockerungen zulassen können. Keine einfachen Entscheidungen, die auch immer wieder neu überdacht werden müssen.
Mit diesem Hin und Her und Auf und Ab werden wir wohl noch länger zu tun haben – bleiben wir kreativ!

Charly

Corona – für mich hat sich tatsächlich kaum etwas geändert. So fühlt es sich an. Was mit Sicherheit daran liegt, dass bei mir viel im Umbruch und der Alltag erfüllt ist.
Heute Morgen im Post Shop wurde ich darauf angesprochen, ob ich einen Mundschutz aufziehen könne – ich hatte ihn auf Tasche und schlicht vergessen.
Das Leben für und mit den Kindern ist vielleicht noch am einschneidendsten. Ebenso heute Morgen musste ich das erste Mal nach Hause kommen. Lou und Mattes machen ihre Aufgaben selbständig für die Schule, während ich vormittags arbeite – doch heute streikte die Technik. Technical support by Papa.
Ich darf weiter arbeiten gehen, wenn auch sich diese im Angesicht von Corona natürlich auch verändert hat. Meine Arbeit in einem Wohnheim verlangt MitarbeiterInnen und BewohnerInnen einiges ab. Separieren ist das große Stichwort. Der therapeutische Prozess leidet, viele BewohnerInnen leiden darunter, nicht unter andere Menschen zu kommen. Mein Arbeitsalltag sieht mich improvisieren, viel spazieren gehen, spielen, in Gesprächen auffangen. Die Körperarbeit, Yogaübungen auf der Wiese, sind für mich als Therapeut ein Highlight.
Mai hieß für mich die letzten Jahre immer Hochsaison. Dieses Jahr heißt es, den letzten Honig zu verkaufen. Zehn Jahre habe ich eine, immer größer werdende, Imkerei, aufgebaut und betrieben.
Bis ich letztes Jahr feststellen musste, dass die Arbeitsbelastung zu groß, der finanzielle Ertrag im Verhältnis dazu viel zu gering ist. Die Konsequenz: Die Imkerei ist nun tatsächlich so gut wie aufgelöst.
Ende März/Anfang April habe ich die 37, den Winter überlebenden, Völker verkauft. Sie fliegen nun woanders.
Auch den größten Teil des Equipments konnte ich verkaufen. Mein Außenlager ist fast leer.
Aller Honig ist dank tatkräftiger Unterstützung, am Ende vor allem von Ulla und Reinhold, abgefüllt, mancher wartet noch auf ein Etikett.
Der Frühjahrshonig neigt sich tatsächlich dem Ende…dafür gibt es noch jede Menge Sommer und Sommer mit Linde.
Wachs hab ich noch ne Menge. Daher lasse ich die Kerzenwerkstatt erst mal noch stehen. Falls jemand langweilig wird kann er/sie schon mal an Weihnachten denken…. Alle LeNas haben die Möglichkeit, Kerzen in einem der Kellerräume zu gießen.
Eine Imkerei kann man auch in Coronazeiten auflösen. Ich hatte genug zu tun.
Anmerkung der Redaktion: Vor einigen Tagen sahen wir Charly mit Mattes und Lou an der Feuerstelle, wie sie alte Wabenrähmchen verbrannten. Der letzte Akt der Auflösung der Imkerei – viele von uns haben die Imkerarbeiten beobachtet und sind ein wenig traurig, dass es sie nicht mehr gibt.

Heiko

„Was denkst Du dazu?“ Das werde ich des Öfteren zu den Corona-Maßnahmen gefragt, die hierzulande und überall auf der Welt getroffen werden, um die Infektionswelle mit dem Corona-Virus einzudämmen und zu verlangsamen. Gemeint sind natürlich meine Gedanken in Hinblick auf die Bedeutung für das Wirtschaftsleben, denn ich (46) habe das Glück ein kleines Unternehmen zu führen, das die Belegschaft gerade von drei auf sieben Mitarbeiter erweitert hat.
„Ich reibe mir etwas ungläubig die Augen“, sage ich. Denn seit 30 Jahren verfolge ich die deutsche Wirtschaft. Das Ziel einer positiven Entwicklung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, ließ scheinbar alles andere hinten anstehen. Ein Einbruch schien bisher einer Naturkatastrophe gleich zu kommen. Die wenigen Momente des Schrumpfens der Wirtschaft kann man demnach an einer Hand abzählen. 1993 nach der Wiedervereinigung schrumpfte die gesamtdeutsche Wirtschaft um 1 Prozent, 2002 und 2003 um 0,2 und 0,7 Prozent. Dies resultierte aus dem Platzen der sogenannten DotCom-Blase. Ein größerer Einbruch erfolgte 2009 mit 5,7 Prozent wegen der Bankenkrise und nun folgt 2020 mit einem Einbruch von wahrscheinlich über 7 Prozent.
„Mich wundert die Risikobereitschaft, mit der die Wirtschaft in einem solchen Ausmaß in Gefahr gebracht wird.“ Der Lockdown schickt massenhaft Menschen nach Hause. Entweder gehen sie ins Homeoffice, in die Kurzarbeit oder in den Urlaub. Aufträge werden zurückgehalten, weil keiner weiß, wie es weiter gehen wird. Alle scheinen davon auszugehen, dass man nach der Krise so weitermachen kann, wie bisher. Dafür werden erhebliche Summen aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt. Ob das klappt, weiß niemand. Aber die Erfahrungen aus der Bankenkrise lassen hoffen, dass man ein wackeliges System mit genügend Geld stabilisieren kann.
„Ich selber habe Glück im Unglück“, füge ich hinzu, denn der Auftrag, der meiner Unternehmung den Aufschwung beschert, kommt von einem Energieunternehmen. Diese Unternehmen sind relativ krisensicher, weil Wärme, Elektrizität und Mobilität in Deutschland immer nachgefragt werden und die Notwendigkeit der Digitalisierung von Geschäftsprozessen durch die Corona-Krise noch deutlicher geworden ist. Mein Auftrag besteht darin, allen Kunden des Unternehmens die Möglichkeit zu verschaffen, alle Leistungen des Unternehmens über das Internet beziehen zu können. Absolut folgerichtig.
„Ich habe auch Glück, weil alle meine neuen Kollegen, bereits mit mir zusammengearbeitet haben“, freue ich mich. Als ich den Auftrag bekam, habe ich sie gefragt, ob sie wieder mit mir zusammenarbeiten würden, und sie haben ihre Jobs aufgegeben oder Jobangebote ausgeschlagen und sich mir angeschlossen. Dann kamen der Lockdown und eine große Unsicherheit. Ich kann mit ihnen digital kommunizieren, und alle wissen, was zu tun ist. Ich vertraue ihnen. Was für ein Glück.
„Als der Ölpreis unter 0 Dollar fiel, ist mir doch mulmig geworden“, bemerke ich. Denn wenn der Preis für eine Ware die Kosten für ihre Produktion nicht mehr deckt, werden Tätigkeiten eingestellt, und einer der wichtigsten Teile der Wirtschaft steht in Gefahr seine Infrastruktur zu verlieren. Außerdem führt ein starker Preisverfall für ein „allgemeines Gut“ dazu, dass sich Vertragspartner nicht mehr an Verträge halten wollen und ihre Zahlungen einstellen könnten. Das gefährdet dann auch meinen Auftrag. Meine Kollegen vertrauen mir, dass ich unseren Auftraggeber bei Laune halte.
„Ich vergleiche unser Wirtschaftssystem gerne mit einem maroden Heizsystem in einem Haus.“ Man kann mit mehr Druck im Keller immer dafür sorgen, dass sich die Risse und kleinen Leckagen nicht auswirken, aber besser wird es davon ganz sicher nicht. Ich wünsche mir, dass die Erkenntnis einkehrt, dass das System von uns erfunden wurde und kein Naturgesetz ist und dass wir es nicht einfach wieder hochfahren, sondern renovieren. Ich wünsche mir, dass wir erkennen, dass ein Auto, ein Arbeitsplatz, der Zinseszins, das Erbrecht, das Geldsystem nicht notwendig zu unserem Leben gehören. Aber der Zeitgeist hat schon Vieles erklärt, und ist wie die Matrix oder die Filterblase, das geistige Gefängnis, indem wir uns eine andere Welt nicht vorstellen können. Aber die Corona-Krise zeigt, dass ein Einbruch des Bruttoinlandsproduktes um 7 Prozent nicht das Ende der Welt ist. Denn wir verlieren nur Arbeitsplätze und nicht das Leben. Und so stehe ich demütig vor dem Glück und dem Verhängnis, dass ich mitten im Leben und in der Verantwortung nichts ändern muss.