Frühmorgens sind die Osterhasen unterwegs, aus den Wohnungen und von den Terrassen sind juchzende Kinder zu hören. Wieder ein sonniger Tag, das für 15 Uhr geplante Picknick kann tatsächlich im großen Garten stattfinden. Alle, die zu einem Haushalt gehören, finden sich auf einer Decke ein, mal fünf Menschen, mal zwei, mal einer. Von oben sieht das aus wie ein bunter Teppich – ein Bild, das wir wohl nicht vergessen werden.
Sekt für die Großen, Eis für die kleinen – Claudia feiert ihr bestandenes Examen als Kinder- und Jugendtherapeutin. Kleine Gespräche, über zwei Meter hinweg. In meiner Nähe sitzen Xaver, Martin, Angelika, wir fragen uns, ob wir uns irgendwann wieder ganz selbstverständlich die Hand geben oder uns zu Begrüßung umarmen werden. Vielleicht verlernen wir es ja auf die Dauer?
Zu Ostern ist die Sehnsucht nach den fernen Verwandten besonders stark zu spüren. Und so ist es gut, dass der Tag ereignisreich verläuft. Lou und Marie bauen das Hühnerhaus zusammen. Abends werden die Gewinner des Osterpreisrätsels geehrt. Fünf Strophen von „Geh aus mein Herz und suche Freud“ erklingen, und wie immer am Schluss „Abendstille überall“. Martins Gitarre und seine Ideen – Lieder, Texte, Rituale – haben uns gut durch die Woche geleitet. Danke!
Inzwischen liegen rund um die alte Eiche ein Dutzend Steine der Sorge, Steine der Hoffnung.
Aus der Nachbarschaft heute ein Ostergruß des Theologen Johannes von Lüpke, eine „Besinnung“, die die neuen Erfahrungen von Nähe und Ferne in einen biblischen Zusammenhang stellt. Selbst in Zeiten der Kontaktsperre entstehen neue nachbarschaftliche Beziehungen!
Zwei von uns haben ihre Osterstimmung geschildert: Berta schreibt über ihr Wohlbefinden bei LeNa, Christiane über ihren Schmerz und den Stress, vierzehn Stunden am Tag eine tapfere Mutter zu sein.
Uwe und Frauke reflektieren über Auferstehung und Tröstendes, verschiedene Sichtweisen des Osterfestes – landen bei Rainer Maria Rilke und Heinrich Heine.
Ulla
Stimmen – Beiträge – Interviews
Johannes von Lüpke, Theologe
Ein Ostergruß aus der Nachbarschaft, Jean Leppin Str. 22
Zum Osterfest gehören Landschaften, insbesondere Gärten. In diesem Jahr, in dem unsere Zusammenkünfte im Haus, in geschlossenen Räumen, Beschränkungen unterliegen, wissen wir es besonders zu schätzen, dass wir nach wie vor nach draußen gehen können. Draußen, das ist der weite Raum, in dem die Frühlingssonne scheint und die frischen Blätter und Blüten hervortreibt. Draußen – für mich heißt das auch: eine ‚Landschaft‘ zu erkunden, die uns in den alten Ostererzählungen der Bibel vor Augen gestellt wird. Da finden sich merkwürdig fremde, aber mitunter auch vertraut wirkende Szenarien. Sie spielen zwischen verschiedenen Räumen und Zeiten, zwischen Himmel und Erde, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Urgeschichte und Zukunft, Zeit und Ewigkeit. Sie weiten den Horizont. Sie öffnen gleichsam ein Fenster, so dass unser endliches, beschränktes Leben nicht in sich verschlossen bleibt.
Wenn sich so verschiedene Zeiten und Räume durchdringen, kommt es auch zu neuen Erfahrungen von Nähe und Ferne. „Es naht sich die Ferne.“ Und: „Schon ist alle Nähe fern.“ So kann man es bei Goethe nachlesen. Und dass beides zusammenkommen kann: Abstand halten und Nähe erfahren – das erleben Menschen auch unter dem Diktat der Kontaktsperren, wie sie gegenwärtig notwendig sind. Das lässt mich noch einmal auf ein anderes Abstandsgebot achten, das sich in einer der Ostererzählungen findet: „Rühre mich nicht an!“ sagt der auferstandene Jesus zu Maria Magdalena, die weinend draußen vor dem Grab steht. Ihr ist Jesus durch den Tod genommen, in eine unzugängliche Ferne gerückt worden. Und nun tritt er ihr leibhaftig gegenüber in einer Gestalt, die sie zunächst mit dem Gärtner verwechseln lässt. Er kommt ihr nahe und entzieht sich ihr zugleich. „Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater.“ Merkwürdig und paradox: In diesem direkten Gegenüber lässt er sich nicht fassen, nicht festhalten, nicht begreifen. Erst wenn er bei seinem himmlischen Vater sein wird, wird er ihr und allen, die sich ihm anvertrauen, nahekommen, näher, als sie es sich hier und jetzt vorstellen können.
Die Szene erinnert an andere biblische Erzählungen. Abstand halten – darum ging es schon, als Mose die Stimme Gottes aus dem brennenden Dornbusch hörte: „Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe aus, denn der Boden, auf dem du stehst, ist heiliges Land. Abstand halten, darum geht es auch im Paradieses-Garten, in dessen Mitte ein Baum steht, von dessen Früchten die Menschen nicht essen dürfen. Warum solche Abstandsgebote?
In der Besinnung weiterlesen...
Berta
(…also ziemlich lange her). kein richtiges Osterfest mehr gefeiert habe.
Ver – rückende Corona Zeit!
Christiane
Es gibt Fotos von mir und meinen Cousins beim Eiersuchen im Garten meiner Eltern, dieselben Bilder entstehen dort seit 9 Jahren mit meinen eigenen Kindern. Nun fabriziere ich 14 Stunden täglich gute Laune und ein fröhliches Osterprogramm, die Kinder sollen ja ein schönes Fest haben. Mir fehlen meine Familie und die Traditionen meiner Kindheit. Doch für negative Gefühle ist kein Raum. Die bahnen sich stattdessen unkontrollierbar in Paarstreitigkeiten ihren Weg, entzünden sich an der Frage wer öfter den Tisch abräumt und vergleichbaren Banalitäten.
Ein gemeinschaftliches Beisammensein im Garten, jeder auf seiner Terrasse oder Picknickdecke, so schön es an jedem anderen Tag wäre, tröstet mich nicht. Es sind andere Menschen, die mir an diesem Tag fehlen. Um das Kinderglück nicht zu trüben, wird der Kloß im Hals heruntergeschluckt, die „Mutter-Rüstung“ angelegt (seit Wochen kaum ein wacher Moment ohne sie) und ein verdammt-noch-mal-frohes-Fest verbracht.
Schokolade schmeckt überall, immerhin.
Uwe
Und das am Osterwochenende! Wo kommen jetzt die positiven Botschaften her, die Visionen?
Ich tröste mich mit Gedichten, die von Auferstehung und Neubeginn handeln.
Mein derzeitiger Liebling stammt von Rainer Maria Rilke:
Wie ist die Erde schön
dann wird es werden wie ein Fest.
Und laß dir jeden Tag geschehen
So wie ein Kind im Weitergehen
Von jedem Wehen
Sich viele Blüten schenken läßt.
Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hände hin.
Frauke
Montagabend, ein wirklich merk-würdiges Osterwochenende geht zu Ende. Wie viele, mit denen ich in der vergangenen Woche hier bei uns gesprochen habe, fand ich es ganz unverhofft schön, einfach zu Hause zu sein statt auf Reisen. Von einzelnen LeNas habe ich dabei so viel mitbekommen wie lange nicht. Das finde ich schon für sich genommen einen Grund zur Freude. In Anbetracht des allgemeinen Gefühls von Unsicherheit und Ungewissheit, dessen Verdrängung mir gewiss nicht ganz gelingt, war das aber besonders gut.
Dadurch (und durch den Austausch über das allabendliche Singen sowie natürlich die Redaktionstätigkeit) ist mir auch die große Vielfalt von Weltanschauungen, Religiosität und Spiritualität wieder bewusst geworden, die wir hier im Projekt zusammen bringen. Das mindestens respektvolle Nebeneinander, oft aber interessierte Miteinander im Austausch über das, was uns jeweils bewegt, trägt, Hoffnung gibt oder kämpfen lässt für das Gute Leben und Gerechtigkeit, hat mich wieder berührt.
Darunter war auch eine agnostische Osterbotschaft von Heinrich Heine, die mich zurück versetzt hat in meine Kindheit: eine meiner frühesten Musik-Erinnerungen sind diese Zeilen aus der „Winterreise“, vertont von Andreas Vollenweider. (Den vollständigen Teil „Caput 1“ gibt es sogar auf YouTube und als Text online.
„Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder;
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust
Und Zuckererbsen nicht minder.
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.“
In diesem Sinne: Frohe Ostern für Alle!