Normalerweise wimmelt es kurz vor Ostern von Touristen, die alte Häuser und Rosen fotografieren und auf den Spuren der TV-Soap „Rote Rosen“ wandeln. So leer wie war die Innenstadt nie. All die kleinen Geschäfte sind geschlossen, die begehrten Ferienwohnungen frei.
„Buy local!“ Wir verfolgen das Schicksal der Läden, die uns lieb sind, bestellen online bei unserer Buchhandlung, unserem Spielwarenladen, unserer Gärtnerei, deren Umsätze einbrechen. Ordern bei befreundeten Weingütern im Süden mehr als wir brauchen. Sie sollen nach Corona weiterleben!!!!
Manche von uns gehen nach wie vor zur Arbeit (laut bundesweiter Statistik mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen). Und werden manchmal von denen, die im Homeoffice oder im Rentenalter sind, beneidet. Unsere „Freigänger“ haben Abwechslung, vielfältige Beziehungen, ihre Geschichten sind für uns Zuhause Eingesperrte ein Tor zur Welt. Heute berichten drei Mitbewohner*Innen aus ihrer Arbeitswelt.
Sommerlich die Temperaturen, Montagmittag die erste Wasserschlacht des Jahres. Zum Glück reichen die Wasser-Pistolen mehr als zwei Meter weit. „Abstand!“ Bitte auch zu Tonis Tipi und Paulinas Hängematte und Ellas Decke. Reinhold und Broder haben die marode Treppe am Wall erneuert. Zwischen den Terrassen und Balkonen werden Rezepte ausgetauscht, kaum noch Nachrichten vom Virus. Medienfasten in der Karwoche, Leben im Hier und Heute. Georgs neues Lied, das gestern im LeNa- Dorf Uraufführung hatte, bringt es zum Ausdruck: „Vielen Dank Euch für das heute. Wir einem schönen frischen Lüftchen geht die Welt auch jetzt voran.“ Vielleicht werden wir noch richtige Dorfmenschen werden?
Ulla
Stimmen – Beiträge – Interviews
Broder
Ich bin so froh, so leicht in die Natur zu können. Sie ist in meiner Wahrnehmung und in meinem Kopfkino auch gestört und gestresst und hat dennoch bei dem sonnigen Wetter der letzten Tage so viel Nährendes. Dann die erste echte Schneedecke dieses Winters, fast wäre sie ein Aprilscherz geworden. Die Kälte irritiert. Und jetzt die Wärme. Die Vögel singen, aber zurückhaltend. Sind es weniger als im letzten Jahr? Die Meisen plündern für ihre Nester mein Filzsitzkissen, es ist an drei Stellen schon ganz dünn.
Berta
Medizinisch Technische Röntgen Assistentin (Zusammenfassung eines Gesprächs)
Sie ist froh, dass sie zur Arbeit gehen darf, ins Klinikum Lüneburg, und als MTRA in der jetzigen Situation gebraucht wird. Jeden Tag hat sie mit Covid-Patienten zu tun – Röntgenaufnahmen und CTs, hauptsächlich der Lunge gehören zur Diagnostik. Zum Schutz trägt sie nicht nur Kittel und Handschuhe, sondern auch Brille und eine FFP2 Maske. Das ständige Umkleiden kostet Zeit, zum Glück ist der Klinikbetrieb entschleunigt, das empfindet sie als angenehm. Die „Geldmaschine Krankenhaus“, sagt sie, wurde abgestellt, „für die Geschäftsleitung ist das traurig, wir an der Basis können aufatmen“. Wirtschaftliche Kriterien treten zurück, der Druck zum Beispiel, eine bestimmte Zahl CTs/pro Tag zu machen, lange vorgeplante Hüft-OPs sind verschoben. Im Vordergrund steht, was dringend nötig ist: die Stroke Unit arbeitet, Unfallopfer werden versorgt, Krebspatienten wie gewohnt behandelt, Hochbetagte aus den überforderten Seniorenheimen finden Aufnahme. Und natürlich die Covid 19 Infizierten oder Verdächtigen, darauf ist das Klinikum gut vorbereitet.
Es ist ein ruhiges Arbeiten – mehr Zeit für die Patient*innen, Raum für Kollegialität, das Krankenhaus ein Ort zum Genesen, keine Fabrik.
Wie immer arbeitet Berta im Schichtdienst, tags oder spät oder nachts, mal in Rufbereitschaft, mal hat sie Wochenenddienst. Sie lebt in einem anderen Zeitrhythmus als die meisten anderen bei LeNa. Und zurzeit lebt sie bewusst zurück gezogen, weil sie aufgrund ihrer beruflichen Verantwortung besonders vorsichtig sein möchte. Das Virus aus dem Klinikbetrieb mit Corona-Patienten ins dicht bevölkerte Wohnprojekt zu tragen oder umgekehrt, wäre schrecklich. Lieber zu vorsichtig sein, als nicht vorsichtig genug. Infektionsketten bedenken – für sie ist das Alltag, für viele andere ist das mühsamer. Covid 19 ist nicht zu sehen, zu schmecken, zu riechen, je länger die Zeit der Isolation dauert und je schöner das Wetter, meint Berta, desto mehr verlieren die Menschen den Respekt davor – und das ist einfach nur menschlich. Ihres Erachtens kann die große Welle der Infektion noch kommen.
Ob das Gesundheitswesen aus der Corona-Krise lernen wird, bezweifelt sie. Kleine Änderungen ja, aber kein Systemwechsel, der die Privatisierungen rückgängig macht.
Bertas Alltag im herrschenden Ausnahmezustand macht sie zufrieden. Und ihre freie Zeit genießt sie mehr denn je. Fürs LeNa-Tagebuch hat sie einen frühen Morgen beschrieben.
Berta selbst:
Ich mache gerade meine morgendlichen Yoga Übungen – entdecke dabei wie der Morgen-Mond ins Zimmer lacht, und dabei ist, die Morgen -Sonne zu begrüßen.
Jetzt gibt‘s kein Halten mehr…schnell anziehen und raus aufs Feld, wo die Vögel ihr frühes Zwitscher-Ritual feiern!
Eine zauberhafte, entspannte Ruhe, normalerweise drängeln sich jetzt schon die ersten, gestressten Autofahrer auf dem Brockwinkler Weg….
Es geht mir einiges durch den Kopf: Ich merke, dass ich immer noch von dieser Entschleunigung und Ruhe, die “Corona” im Schlepptau hat, profitiere, und wie ein Schwamm diese Ruhe, Zeit- und Terminlosigkeit an manchen Tagen und Nachmittagen, aufsauge, noch nicht genug davon habe….Allerdings steht daneben auch die Dankbarkeit, in meinem Job weiterhin zu arbeiten und diese Struktur zu haben.
Heute ist frei, mal sehen, nach was mir ist, und ich schlendere, leicht und fedrig, zurück nach Hause, wo langsam alle aufstehen, es heimelig und gemütlich ist – ZUHAUSE.
Heinrich
( selbständiger Bau- und Energieberater )
Corona ist für mich eine „unwirkliche“ Krankheit. Im Landkreis leben mehr als 180.000 Menschen von denen laut LZ insgesamt 118 infiziert und schon 50 wieder gesund sind.
Das bedeutet für mich und meine KollegInnen, dass diese Krankheit nicht in der öffentlich dargestellten Dramatik erfahrbar ist.
Für mich ist es ganz gut weg zu fahren, andere Menschen zu sehen und mich mit anderen Problemen zu beschäftigen.
Die Ausgangssperre entschleunigt unser Leben, und wir leben in einer fantastischen Luxus-Situation dass Mareike ihr Geld einfach weiter bekommt (mein Einkommen ist nicht so sicher) und wir hier auf dem LeNa-Grundstück ja relative Bewegungsfreiheit (und außerdem noch unseren Garten) haben. Was diese Ausgangssperre mit der Wirtschaft macht, dass besorgt mich allerdings.
Xaver
Arbeitsmediziner ( Zusammenfassung eines Gesprächs )
Als Arbeitsmediziner hat Xaver die Entwicklung der Krise hautnah mitbekommen. Seine Besuche in Betrieben und Einrichtungen sind immer schwieriger geworden – Sehtests für Bildschirmarbeiter, Hörtests für Mitarbeiter in lärmigen Metallbetrieben, Blutdruckmessen, Gespräche über Arbeitsschutz, all das ist im vorgeschriebenen Zweimeterabstand kaum möglich. In Seniorenheimen, die auch zu seiner Kundschaft gehören, ist die Infektionsgefahr besonders hoch. Alle schotten sich ab, und auch Xaver hat manchmal Angst um seine Gesundheit. „Ich hab nicht so viel zuzusetzen.“
Inzwischen ist seine Arbeit immer weniger geworden, momentan feiert Xaver Überstunden ab. Für die Zeit nach Ostern hat der Chef seiner Firma Kurzarbeit beantragt für ein Jahr.
Die strengen Kontakteinschränkungen findet er als Arzt vernünftig und notwendig. Bei LeNa fühlt er sich gut aufgehoben, auch wenn Vieles fehlt. Das Samstagsfrühstück zum Beispiel, einmal im Monat, das er seit langem organisiert.
Der Aufgabe, die ihm nun bevorsteht, sein Leben Zuhause zu gestalten, erscheint ihm nicht ganz leicht. „Den Haushalt durchräumen“ will er, Fenster putzen, Ordner sichten, Keller ausmisten… Lesen natürlich. Wie die meisten von uns wird er sich zu Ostern nicht vom Fleck bewegen