Mittwoch vor Ostern, ein schon frühsommerlicher Tag. Das Pseudonyme-Raten, zu dem die Redaktion als Osterrätsel herausgefordert hat, hat bereits Spuren auf dem Grundstück hinterlassen. Dass Tom Simons Bruder ist, das zumindest lässt sich eindeutig den bisherigen Tagebuch-Einträgen entnehmen….
„Um wen und was sorgt ihr euch in der gegenwärtigen Situation?“ hatten wir vor einigen Tagen in die Runde gefragt. Das Thema „Sorge/sorgen“ zeigt sich in den Antworten vielschichtig. Unsere heutigen „Stimmen“ bilden einiges davon ab und spannen den Bogen aus dem umgrenzten Raum der eigenen vier Wände (und des eigenen Kopfes) über unsere Gemeinschaft hier bei LeNa und dem Miteinander in der Nachbarschaft zu möglichen gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen. Die Beiträge von Manfred sowie Frieda und Reinhold verdeutlichen, dass Sorge oft keine einseitige Sache ist sondern sich zwischen Menschen abspielt. Dem Angebot des Sorgens (im Sinne von Unterstützung und Hilfe) steht die Freiheit und das Vermögen gegenüber, dieses Angebot anzunehmen – oder nicht.
Zwei Tagebucheinträge von Andi beleuchten zum Teil eine innerfamiliäre Dimension von „Sorge“, würdigen aber zugleich auch die Gelegenheit zur „Sorg-losigkeit“, wo diese möglich ist. In diesen so sehr von digitalen Kommunikationsformen geprägten Wochen fordert uns Andis erster Eintrag bewusst zum „Slow Reading“ eines handschriftlichen Textes auf. Und er hat – echt Andi – einen Osterhasen geschaffen, aus Holz, Stein und Muscheln.
Zum darin auch angesprochenen „Hype“ um digitale Lernformen haben die „Nachdenkseiten“ ein lesenswertes Interview mit dem Professor für Mediengestaltung und Medientheorie Rolf Lankau veröffentlicht: „Lernen für Google“.

Maries Motivationsspruch für heute: „Oft kommt das Glück durch eine Tür herein, von der man gar nicht wusste, dass man sie offengelassen hatte.“
Frauke

 

 

 

Stimmen – Beiträge – Interviews

 

 

 

Manfred

“Solidarische Nachbarschaft”: Was machen wir jetzt angesichts der Corona-Pandemie? Diese Frage umtrieb einen kleinen Haufen von politischen Gruppen aus der Klimagerechtigkeits- und antirassistischen Bewegung um. Über das erste Wochenende wurde klar: Jetzt muss es zunächst darum gehen, solidarische Nachbarschaftshilfe in Lüneburg zu organisieren – gegen den Trend von Hamsterkäufen, gegen die Isolation und Vereinsamung.
Binnen eines Tages waren schon am 17.3.2020 über 400 Lüneburger*innen vernetzt. Es gründeten sich Stadtteilgruppen, eine Die Website “Lebendiges Lüneburg” wurde aufgesetzt, Zeitungsartikel erschienen.
Auch im Brockwinkler Weg fanden sich Leute zusammen und bieten seitdem Nachbarschaftshilfe an. Zettel wurden ausgehängt und in Briefkästen verteilt, über die Kontakt aufgenommen werden kann.
So groß wie das Angebot und die Bereitschaft zu helfen ist, so schwer ist es, Hilfe anzunehmen. Wir kennen das aus vielen Reflexionsgesprächen aus unserem Wohnprojekt: Um Unterstützung zu bitten, erfordert Mut und Vertrautheit. Nachbarschaftshilfe funktioniert gerade jetzt dort gut, wo es schon vor Corona persönliche Kontakte gab. Etwa hier bei LeNa.
Die angebotene Nachbarschaftshilfe im Stadtteil wird aber nur wenig angefragt. Ich lerne daraus: Nachbarschaft braucht persönlichen Kontakt, das direkte Gespräch. Wir brauchen die Erfahrung, dass wir füreinander da sind und gegenseitig helfen können, ohne Gegenleistung zu erwarten oder sich schuldig zu fühlen. Offensichtlich können wir in solcher einer Krise die Früchte unserer lebendigen Nachbarschaft bei LeNa ernten. Das Kontaktverbot erschwert es, jetzt neue Beziehungen im Stadtteil aufzubauen. Für mich ist diese Erfahrung ein Ansporn, nach Corona weiter dran zu arbeiten, Kontakte in der Nachbarschaft über LeNa hinaus aufzubauen. Und es macht Mut, dass so viele Menschen in der Stadt sich so schnell zusammenfinden können, um Nachbarschaftshilfe anzubieten.

 

Andi

Sorgen
Die ersten Sorgen, die ich mir machte handelten vom gesellschaftlichen Zusammenbruch – Stichbuchstaben: SF [Science Fiction; Red.].
Nach diesem Satz kommen sofort die Sorgen um zwei Kinder in meinen Kopf und lassen mich zweifeln, ob die Sorgen über Menschen, die z. B aus Angst noch gewalttätiger werden, tatsächlich die Ersten waren. Verdammt – es hängt ja alles zusammen!
Der Gedanke, dass ich keine Großeltern mehr habe, um die ich mich sorgen muss, fühlt sich hart an.
Ich sorge mich auf hohem Niveau um das Weiterbestehen des politischen Systems des Landes, in dem ich lebe; angesichts von Gegenden, in denen es viel fürchterlichere Regierungsformen gibt und in denen sich die Menschen auch vor diesem jetzt gar nicht mehr so neuartigen Virus fürchten.
Meine Sorge davor, dass das Geldsystem kaputtgeht ist nicht neu und recht diffus.
Es gibt auch noch schwer zu fassende Sorge darum, dass die erfreulichen Entwicklungen keinen Bestand haben werden.
Abschließend kann ich‘s nicht lassen und zitiere den berühmten Postkartenspruch:
„Statt Sorgen sollte man sich lieber Nudeln machen!“

Wer lesen möchte, welchen Niederschlag die ersten Tage von “Corona” in meinem Tagebuch fanden, kann hier weiterlesen:

 

Frieda und Reinhold

Wir versuchen, uns gerade daran zu gewöhnen, dass wir zu einer Risikogruppe gehören, die als „besonders schützenswert“ bezeichnet wird.
Jetzt ist Vieles verboten, was das Alter und das Altern ein wenig vergessen machte. Das Umswitchen von gerne Helfenden in um Hilfe Bittende ist noch in Arbeit.
Wir hoffen sehr, dass die zehn LeNas, die sich einen wunderschönen Baum im Friedwald ausgesucht hatten und dies mit einem Picknick feiern wollten, dies bald nachholen können.
Auch die gemeinsam geplante Fahrradtour mit einigen Mitbewohner*Innen an den Ostseefjord Schlei und die Geltinger Bucht Anfang Juli wird vermutlich nicht stattfinden?
Der Kontakt zu den eigenen Kindern und Enkeln läuft Dank heutiger Technik virtuell und über diverse Apps fast reibungslos. Bei einem Auslandsjahr unseres Enkels in Indien (Hyderabad) waren wir fast dabei, einschließlich Motorradunfall und Rücktransport nach Frankfurt.
Der letzte Akt war gestern: Beratungsprotokoll und Angebotsrechnung unserer langjährigen Versicherung per E-Mail und Videoberatung per Skype. Das Homeoffice hat uns erreicht.