Ein weiterer sonniger Tag – fast so warm wie gestern. Auf den ersten Blick in den Garten fast ein gewöhnlicher Tag der Osterferien: Viele Kinder, Gartenarbeiten, Sonnengenuss auf der Terrasse. Erst bei längerem Hinsehen fällt der größere Abstand auf. In den Medien wird gerade das Für und Wider von Gesichtsmasken erörtert. Bei uns sind sie noch nicht verbreitet. Schnittmuster wurden aber schon ausgetauscht.
Heute Vormittag waren Willy und Reinhold Eier bei „unserem“ Hof holen. Gut, dass sie schon so früh dort waren, denn…. Ihr Bericht eröffnet unsere heutigen „Stimmen“. Dazu drei weitere Perspektiven auf die Veränderungen in der Erwerbsarbeit von Finja-Rieke, Georg und Johanna.
Frauke

 

 

Stimmen – Beiträge – Interviews

Reinhold und Willy

Eier für Ostern vom Hof Hartmann.
Alle vierzehn Tage fahren wir, Reinhold und Willy abwechselnd, nach Rettmer, um für unsere Foodcoop 120-180 Eier zu holen.
Sie kommen von den Wanderhühnern aus dem „ Hühnerhotel“, das sind mobile Wagen, die regelmäßig umgesetzt werden für frischen Grasauslauf und Scharren im Sandboden. Hartmanns haben 7 solche Wagen, genannt Hühnerhotels, mit insgesamt ca. 3000 Hühner. Wie viele Eier pro Tag dort gesammelt und verkauft werden, konnten wir leider nicht nachzählen. Denn heute war ein unglaublicher Betrieb. Als wir dort mit dem Senior sprachen, kamen in den 15 Minuten ca. 15 Autos zum Hofshop und mussten feststellen, dass um 11 Uhr schon ausverkauft war. Also nahmen viele die leckeren Tüten mit Heidekartoffeln mit, auf die der Senior besonders stolz ist.
Für den Eierumsatz ist neben der Backzeit vor Weihnachten jetzt um Ostern die Hauptstress-Phase für den Hof Hartmann.
Eier sind der Inbegriff für Fruchtbarkeit im Frühling. Bunt und leuchtend gefärbt sollen sie sein als Zeichen, dass nach dem Winter jetzt wieder die Farben Einzug halten. Ausgeblasen oder angemalt eine kreative Osterbeschäftigung für die Kinder zu Hause, sind deshalb jetzt die weißen besonders gefragt.
Auf die Frage, was Corona für Hilke Hartmann bedeutet, berichtet sie uns, dass in den letzten Wochen seit des Kontaktverbots wegen Corona schon ein riesiger Ansturm auf den Laden, besonders aber auf die Eier besteht. Viele Menschen nutzen die Hofläden für eine andere Art des Einkaufens, oft verbunden mit einem Fahrradausflug.
Statt der einen Packung Eier werden jetzt gern mal 6-8 Packungen mitgenommen, ein Hamstern an Eiern beobachtet die Bäuerin schon seit Mitte März, denn man weiß ja nie, was noch kommt.
Schwierig war es anfangs auch, in dem kleinen Shop die Regeln auf Abstandhalten durchzusetzen, denn sonst müsste der Hofladen dicht gemacht werden. Aber die Menschen haben Schlangestehen jetzt ganz gut gelernt, so dass meist nur ein Mensch im Laden ist. Das Geld wird wie auch sonst immer passend durch eine Klappe in der Wand geworfen.
Wir unterstützen immer gern unsere regionalen Partner und hatten heute einen besonderes netten Schwatz mit dem Senior des Hofes, der uns gerne ausführlich die Geschichte seines Familienbetriebs erzählte.

 

Finja-Rieke

Angestellte Physiotherapeutin
Noch geht sie zur Arbeit, ihre halbe Stelle in einer kleinen Praxis (zwei Physiotherapeutinnen, die Chefin und sie) ist ein Vergnügen und gerade jetzt eine wichtige Aufgabe. Zwar gibt es weniger Patient*innen, die Zahl der Therapiestunden ist um etwa 40 % zurückgegangen, allerdings von einem hohen Auslastungsniveau, bis vor kurzem führte die Praxis Wartelisten. Aber ein Stamm von chronisch Schmerzgeplagten ist geblieben, die dringend der Behandlung bedürfen.

Um das Ansteckungsrisiko zu minimieren, werden die geltenden Sicherheits-und Hygienebestimmungen eingehalten. Es begegnen sich immer nur die jeweilige Therapeutin und der Patient/die Patientin. Mundschutz ist derzeit nicht verfügbar, deswegen gilt besondere Vorsicht, wenn Finja-Rieke im Kopf- und Nackenbereich arbeitet. Dann ist Schweigen vereinbart, und sollte die Therapeutin etwas erklären müssen, tritt sie zwei Schritte zurück. Diese Disziplin, sagt sie, fällt ihr nicht schwer. Konzentriert und achtsam zu sein, ist sie gewohnt.
Ab Gründonnerstag wird Finja-Rieke zuhause sein und ihre Überstunden abfeiern. Ihre Chefin will nach Ostern Kurzarbeit beantragen, wie lange die Flaute dauern könnte, ist wie überall unklar. Größere Sorgen um ihren Arbeitsplatz macht sich Finja-Rieke nicht. Sie wird weniger Geld haben für sich und die beiden Söhne, andererseits braucht sie gerade weniger Geld. Keine Ausflüge in den Osterferien, vielleicht entfällt auch die Reise im Sommer, damit kann sie leben. In gewisser Weise hat diese Zeit auch ihr Gutes. Sie beobachtet an sich und den Kindern, dass sie alle weniger überreizt sind – und kreativer. Gesellschaftsspiele und Sport, Freude an einfachen Dingen …

 

Georg

„mein“ Lehrer sein … … „virtuell geht viral – oder?“
… eine Standortbestimmung (?) in Zeiten von Corona im April 2020 …
… an sich sind gerade Osterferien in Niedersachsen, der Urlaub ist „längst“ storniert, Besuche bei Verwandten in einem anderen Bundesland abgesagt;
… das Homeoffice, die gegenwärtige Tagesstruktur setzt sich nahtlos fort und währt bereits drei Wochen;
… der kollegiale Austausch reduziert sich seit Beginn der Ferien etwas, die Nachfragen von Schüler*innen ebenfalls;
… Zeit für Korrekturen, erste Rücksendungen von Aufgaben, dem Schreiben von Feedbacks, aber auch Zeit für unbestimmte Gedanken dazu, was ich außer „Lehrer“ (gerade) noch bin oder eben auch:
Was für mich mein „Lehrer-Sein“ ausmacht
… ich arbeite in einer weiterführenden Schule mit Oberstufenschüler*innen. Der Hausausaufgabenerlass erlaubt es, dass Oberstufenschüler*innen in den Ferien mit Aufgaben versorgt werden (können);
…. in diesem Jahr bin ich überwiegend in Abschlussklassen eingesetzt und so stehe ich entsprechend „unter Strom“, was „die Politik“ hinsichtlich Abschlussprüfungen entscheidet, (und) arbeite erst mal weiter;
… vorsorglich „müssen“ alle Noten dokumentiert sein …. Am 14.04 soll es „auf politischer Ebene weiter besprochen“ werden. In der Öffentlichkeit posten einige Medien bereits „dies und das“ (z.B. Abiturprüfungen verschieben, absagen etc.), will ich mit spekulieren? In Absprache mit meinen Kolleg*innen bereite ich mich auf mehrere Szenarien vor.
„virtuell geht viral – oder?“
Ich sehe neue Chancen in dieser Phase der Unübersichtlichkeit. Gerade auch für vermehrte virtuelle Lernmöglichkeiten. Obwohl ich ein kein „digital native“ bin, sind mir virtuelle Lernumgebungen und damit verbundene Anwendungen nicht fremd.
Ich setze die an unserer Schule üblichen Werkzeuge bereits (immer mal wieder) ein. Nur – ja – ich bin kein (ausschließlicher) Fan davon; eine eher moderate Haltung hierzu hat sich bei mir schon bei früheren informationstechnischen Fortbildungen herausgebildet.
Lieber ist mir allemal der direkte Kontakt zu meinen Schüler*innen ..
… denn mein Unterricht vervollständigt sich erst mit meinen Schüler*innen im „unmittelbaren Austausch“. Dies ist im Videochat nur schwer (und dann eher im „Einzel- oder Kleinstgruppen-Chat“) möglich und über textbezogene digitale Austauschformen fast gar nicht gegeben. Ja, vielleicht ist auch das „nur“ eine „Gewöhnungssache“, doch bis jetzt:
… „Ich“ brauche den unmittelbaren Dialog, die leibliche Präsenz! Auch die gemeinschaftsorientierte Beziehungsarbeit – für mich essentielle Lehrertätigkeit – gelingt „mir“ eher im „nicht-digitalen classroom“. Hier bin ich immer wieder froh, wenn ich bei „politischen Entscheidern“ lesen kann, dass virtuelle Lernmöglichkeiten Unterricht nur ergänzen (können). Diese Perspektive kann ich unterstützen.

 

Johanna

Bis zum 13.03. lief der Praxisbetrieb noch relativ normal, lediglich auf das Händeschütteln hatte ich bereits verzichtet und für mehr Sitzabstand gesorgt. Ab dem 16.03. gab es erste Absagen aufgrund von Corona, v.a. weil Patient*innen ihre Kinder zuhause zu betreuen hatten oder aufgrund unklaren Infekts oder Quarantäne nicht kommen konnten. Zum Glück hatte ich mich am Wochenende schon darauf vorbereitet, Therapie per Videosprechstunde anbieten zu können. Es gab viel zu organisieren – welcher Termin soll weiterhin persönlich in der Praxis stattfinden, wer möchte per Videosprechstunde oder per Telefon das Gespräch führen? Für einzelne habe ich ausnahmsweise Termine am Nachmittag und sogar Abend vereinbart. Außergewöhnliche Zeiten ….
Gleichzeitig musste ich gucken, wie Paulina betreut werden kann. Jeden Tag gab es Neuigkeiten, die den Plan des Vortages wieder verändert haben. An einem Tag hat Aljoscha Paulina betreut, an einem Tag war ich zuhause, an zwei Tagen ist Paulina mit in die Praxis gekommen. Zum Glück macht Paulina das alles super mit – sie ist doch schon recht groß mit ihren 7 Jahren … in diesen Tagen fällt mir das einmal mehr auf. In der Praxis hat Paulina im Büro gesessen, Hausaufgaben gemacht und durfte einen Film gucken … das wäre aber keine Dauerlösung. In der nächsten Woche hat Susi Paulina jeden Arbeitstag betreut. Wie erleichternd diese regelmäßige Planung war, die auch zum Glück diesmal nicht durch neue Umstände verändert werden musste!
In den therapeutischen Gesprächen ging es natürlich auch meist vor allem um die Auswirkungen der Corona-Krise und die Ängste, die dadurch ausgelöst werden. Manche spüren in der kollektiven Krise ihre Ressourcen sogar mehr und ein Perspektivwechsel gelingt bzw. sie fühlen sich im Leiden nun mehr mit anderen verbunden. Ich denke, dass die psychischen Auswirkungen bei den Patient*innen mit den Wochen noch deutlicher zu spüren sein werden und der Unterstützungsbedarf steigt. Und ich rechne damit, dass psychische Belastungen in der Bevölkerung zunehmen und noch mehr Therapieanfragen kommen werden. Leider haben die Kapazitäten in der Vergangenheit schon nicht gereicht, um den Bedarf zeitnah zu decken – die Wartezeiten auf einen Therapieplatz sind leider lang (geschätzt 6-9 Monate und länger). Der kassenärztlichen Vereinigung, der Kammer und den Verbänden ist zugute zu halten, uns Behandler über die berufsgruppenspezifischen Besonderheiten im Gesundheitswesen gut auf dem Laufenden zu halten und schnell befristete Sonderregelungen zu erlassen (z.B. Aufhebung der Kapazitätsgrenze für Videosprechstunden; Vereinfachung der Abrechnung auch ohne Einlesen der Gesundheitskarte). Täglich gibt es dazu mehrere Mails.
Nun habe ich erstmal bis einschließlich Ostern Urlaub … zum Glück lässt sich der Wegfall unserer Reise zur Familie und auf einen Reiterhof recht gut verschmerzen, weil wir es hier zuhause mit dem großen Garten so schön haben. Und ich bin so dankbar für die Unterstützung, die wir uns als Nachbarn gegenseitig geben. Das beruhigt mich sehr.