Unsere österlichen Vorhaben, auf die wir uns so lange gefreut hatten, sind abgesagt. Besuche bei der Familie, Ferien am Meer und Kanutouren, Grillabende, die Johannes-Passion, Osterfeuer, der Auferstehungs-Gottesdienst. Die Kirchen sind überall geschlossen, das haben weder Krieg noch Diktatur geschafft. Die Pfarrei St. Michaelis, zu der einige von uns gehören, bietet Online-Gottesdienste an. „Sieben Wochen ohne Pessimismus“, das Motto der diesjährigen Fastenaktion der evangelischen Kirche … Wie soll das gehen?
Am Beginn der Karwoche spüren wir schmerzhaft, wie umfassend der Verlust an Freiheit ist, wie sehr unsere Grundrechte eingeschränkt sind. Eine ernste Gefahr, über die öffentlich viel zu wenig gestritten wird.
20 Grad waren es heute in Lüneburg. In den nächsten Tagen soll es so warm und sonnig bleiben. Weil wir so viel draußen sind, begegnen wir öfter unseren Nachbarn. Wie geht es im Neubaugebiet, wie in der nahen Schrebergartenkolonie und auf dem Wagenplatz? Oder in der Studi-WG, die ihre Freude am Gärtnern entdeckt? Kurze Gespräche, manchmal nur Gesten.
Bei alten Bekannten fragen wir schriftlich nach. Heute erscheinen zwei Berichte aus der Nachbarschaft – aus der JVA und von der Logopädin Simone Wulf.
Katharina erzählt von einem politischen Ausflug mit ihren Söhnen zum Lüneburger Rathausplatz.
Wie wollen wir bei LeNa die Osterwoche verbringen? Fragt Martin. Er hat einige Ideen …
Ulla
Stimmen – Beiträge – Interviews
Martin
Ostern steht kurz bevor. Bisher hatte ich mir noch keinen Gedanken dazu gemacht. Aber nun fällt der Osterausflug mit der Großfamilie nach Dänemark aus, eine Nachbarin fragte mich und wir als Familie überlegten wie wir denn Ostern so feierten und feiern wollen. Die Tradition des Osterfeierns in meiner Herkunftsfamilie ist verblasst, das regelmäßige fröhliche Osterfeiern als junger Erwachsener im Jahrestreffen eines Jugendumweltverbandes findet schon seit ein paar Jahren nicht mehr statt und die Reise nach Dänemark ist nun abgesagt. Angesichts der Corona-Krise sinkt bei mir die Lust Ostern zu “feiern”.
Aber es kommen bei mir auch Erinnerungen an frühere Ostern auf und der Eindruck, dass die Ostertage und die Woche vor Ostern auch immer ein besondere Zeit war. So haben meine Großeltern oft gefastet, sind gelegentlich in ein Kloster gefahren zum gemeinsamen Schweigen, andere Pfarrer in der Verwandtschaft waren immer sehr beschäftigt, haben aber auch die Nachdenklichkeit und die Bedeutung von Ostern vermittelt und die Freude des Osterfestes gelebt. Die jetzige Zeit mit Corona führt dagegen bei mir und bei vielen Menschen zu Ängsten, einem Nachdenken über Gewohnheiten und zeigt die Verletzlichkeit des Einzelnen und unserer Gesellschaft. Die Zeit vor Ostern ist für mich geprägt durch Verlangsamen, Innehalten, Nachdenken über den Tod und dann aber auch die Freude über den Frühling, das Neu-Werden, die kirchliche Osterbotschaft der Auferstehung, und dem Neu-Beginnen. Ostern und Corona – das scheint sich zu widersprechen und es passt doch auch ein Stück weit.
Trotz der vielen Sorgen und Unsicherheiten über die Entwicklungen der nächsten Wochen möchte ich die Ostertage dennoch mit ein bisschen Trost, ein bisschen Hoffnung und einem Stück Trotz verbinden. Trost durch die schönen Erinnerungen an frühere Osterfeste und tröstliche Oster-Geschichten. Mit Trotz gegen die Vereinzelung, weil wir trotz Abstand-halten und Abriegelns nur durch Zusammenhalt und Zusammenarbeit hier bei uns, in Europa und hoffentlich auch global eine lebenswerte Zukunft erreichen können. Und mit Hoffnung auf eine Zeit nach der Corona-Krise. Die Hoffnung, dass, auch wenn vieles vielleicht für lange anders sein wird, wir auch festhalten können an einem Mehr an Solidarität, an Nachdenklichkeit und Nachhaltigkeit.
Ein schönes Ritual vor und an Ostern ist es für mich, eine Kerze anzuzünden und eine Sorge aber auch eine Hoffnung für mich alleine oder für alle hörbar zu formulieren und zu teilen. Gerne würde ich so ein kleines Ritual mit ein paar Frühlingsliedern am Ostersonntag-Morgen draußen mit euch ausprobieren. Wer will, mit Abstand-halten, aber in Verbundenheit. Und anstatt im Wind verlöschender Kerzen nehmen wir dann eher einen kleinen Stein als Symbol für eine Sorge und einen hoffnungsvollen Gedanken. Schön fände ich es auch für die 3 Tage vor Ostern zum Singen auch ein paar kurze Texte oder nachdenkliche Gedichte und Gedanken aus dem Corona-Tagebuch vorzulesen, wenn die LeNa-Literaten hierzu beitragen wollen.
Auf die Hoffnung und ein paar österliche Gedanken trotz Corona.
Katharina
Heute haben wir in der Stadt Spuren hinterlassen. Tom und Simon haben mit Kreide Fußspuren vor das Rathaus gezeichnet, um auf die Geflüchteten aufmerksam zu machen, die kein Zuhause haben, die unter menschenunwürdigen Bedingungen an der Grenze Griechenlands ausharren müssen. Unter ihnen so viele unbegleitete Kinder und Jugendliche. Es ist ein so unvorstellbares Leid, so eine zum Himmel schreiende Menschenverachtung, die dort betrieben wird – und alle Welt guckt auf Corona.
Die internationale Bewegung “Seebrücke” rief für heute bundesweit zur Aktion “Wir hinterlassen Spuren” auf um der Forderung einer Evakuierung der griechischen Inseln Nachdruck zu verleihen. Alle Menschen haben einen sicheren Hafen verdient! Aufgrund der einschränkenden Maßnahmen kam es bei dieser Aktion wohl im wahrsten Sinne des Wortes auf jeden einzelnen an. Wir waren die ersten und einzigen, die Spuren hinterließen. Es war aber auch noch recht früh.
Ausgelassen (und sicher) zeichneten Tom und Simon im Sonnenschein. Es müsste eine Selbstverständlichkeit sein, allen Kindern dieser Welt einen solch sicheren Hafen zu bieten.
Eva Fricke – Abteilungsleiterin JVA offener Vollzug, Brockwinkler Weg
Auch bei uns im (offenen) Vollzug haben sich Veränderungen im Tagesablauf ergeben. Sowohl für das hier tätige Personal als auch für die Inhaftierten.
Die für die allgemeine Bevölkerung geltenden Regeln haben natürlich auch hinter Mauern/Gittern Gültigkeit. Denn das Virus macht vor Gefängnismauern oder einem Gefängniszaun leider nicht Halt …
Handhygiene und Nies-/Hustenetikette sind wie überall ein großes Thema und werden bei uns strikt beachtet.
Inzwischen haben wir alle trockene und rissige Haut vom ständigen Händewaschen und desinfizieren, aber wenn es dazu beiträgt, dass wir alle gesund bleiben und unsere Mitmenschen nicht in Gefahr bringen, nehmen wir das gerne in Kauf.
Selbstverständlich achten wir alle auch auf Abstand zueinander und meiden – soweit möglich – Kontakte.
Da sich auch hinter Gittern lebensältere und gesundheitlich angeschlagene Menschen befinden, haben wir hier eine besondere Verantwortung und müssen umso mehr auf Hygiene und Abstand achten. Bisher ist uns das gut gelungen und alle sind wohlauf!
Bleiben Sie gesund!
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Fricke
Simone Wulf, Logopädin im Neubaugebiet
Liebe große und kleine LeNa Nachbarn,
als Johannes mir den Hinweis auf Euer Corona Tagebuch gegeben hat und ich die ersten Beiträge daraus gelesen habe, kam mir spontan die Idee Euch einen Blick von hier drüben, dem „Neubaugebiet“ (naja, Wohngebiet) zukommen zu lassen.
Auch bei uns warfen die sich anfangs nahezu täglich ändernden Be- und Einschränkungen, Hinweise und Ratschläge Fragen auf. Unsere Kinder spielen meist kunterbunt zusammengewürfelt auf dem Bolzplatz oder dem kleinen Platz mit dem selbstgebauten Tor vor dem Feld, flitzen mit jeglicher Art von Rollen durch die Straßen oder hängen einfach auch zusammen in den Zimmern ab. Als es hieß: Spiel- und Sportplätze gesperrt, Ansammlungen meiden (das genaue Datum und den exakten Wortlaut bekomme ich nicht mehr zusammen), habe ich auf jeden Fall schon etwas länger überlegt ob ich die anderen Mütter wirklich ansprechen soll, wie wir das denn nun so (bestenfalls) gleichlautend handhaben wollen: man will ja nicht gleich als „überkorrekte Spaßbremse“ gelten, schienen doch zu diesem Zeitpunkt die Abstandsregelungen noch sehr befremdlich.
Auch wenn wir keinen ausgeschrieben Titel für unsere Gemeinschaft hier haben, war der Tenor doch sehr einstimmig: wir sehen uns als Einheit, die Kinder sind ihrerseits seit Tagen nur mit Kindern „von hier“ zusammen, das wollen und werden wir ihnen auch weiterhin gewähren. „Auch die psychische Gesundheit will bewahrt werden“, sagte eine Nachbarin. Tatsächlich aber überholte uns die Entwicklung, wie bei so vielen Entscheidungen in diesen Tagen, jedoch schneller als gedacht und unausgesprochen haben sich die Ansammlungen doch inzwischen deutlich reduziert und eine Durchmischung findet kaum mehr statt: ein Hoch auf die Geschwisterliebe!
Jemand aus der Nebenstraße hat kürzlich einen Leserbrief in der LZ geschrieben, sinngemäß heißt es darin: „… wir sind privilegiert in dieser Situation … mit eigenem Garten …“ und JA, das sind wir wirklich. Wir, und ihr, und alle, die hier im Radius um unsere schönen angrenzenden Waldstücke, die Feldwege, und dem Areal der PKL wohnen. Gehörte man schon immer zu den fleißigen Joggern staunt man, wie bevölkert die Wege inzwischen sind. Familien, Paare, Freunde im Doppelpack: das Wetter lud auch an fast allen Tagen der Krise dazu ein.
Auf einer unserer Spazierrunden fiel uns das rote weiße Flatterband auf dem LeNa Gelände ins Auge. „Aha, schneller als die Stadt die Spielplätze, haben die LENAs wohl das Baumhaus abgesperrt – aber was hat das andere abgetrennte Areal für eine Bedeutung?“ Nicht nur um darauf eine Antwort erhalten zu haben bin ich froh über die Möglichkeit das Tagebuch mitlesen zu dürfen.
Eine andere Nachbarin sagte letztens: „ Ach und wenn man abends nochmal eine Runde dreht, dann sieht man überall die Lichter in den Häusern. Auch bei dem LeNa Haus leuchtet es so schön, alle sind sie da. Alle sind zuhause!“ Und das ist keine Kontrolle, sondern ein gesteigertes Miteinander, ein vermehrtes aufeinander Achtgeben, sich gegenseitig intensiver Wahrnehmen und füreinander da-sein. Die positiven Folgen der Corona-Zeit… hoffentlich sind es noch langanhaltende Folgen der für jetzt angeordneten Entschleunigung, die auch bleiben, wenn eines Tages alles wieder im Zeitraffer ein paar Takte schneller läuft.
Leider hat die aktuelle Lage auch wirtschaftliche Auswirkungen auf viele Menschen. Auch ich als Sprachtherapeutin bin davon betroffen. Zwar gelten alle Therapien (inzwischen) als medizinisch notwendig und somit als „erlaubt“ und durchführbar, aber da ich mit vielen Kindern/Patienten aus Risikogruppen arbeite kann ich nur gut nachvollziehen, wenn man mich gerade nicht sehen möchte. Gleichzeitig gibt es aber auch einige, die nicht auf die therapeutische Unterstützung verzichten möchten. Beides ist verständlich und nachvollziehbar.
Innovativ sein, mit dem was geht klarkommen. So nutzen Kollegen vermehrt die Option zur Videotherapie. Für meine eher jüngere Patientengruppe sehe ich das als keine praktikable Lösung an und ein Mundschutz ist für Logopäden eher suboptimal, wenn es um das Anleiten der korrekten Aussprache geht. Somit habe ich mich für den Einsatz eines mobilen Spuckschutzes entschieden. Zusammen mit Einmalhandschuhen fühle ich mich damit wohl und kann somit zumindest anteilig meiner Arbeit nachgehen.
Warum schreibe ich das hier? Weil es vielleicht auch für andere eine Idee sein könnte. So etwas ist schnell selbstgebaut und nicht kostenintensiv.
In diesem Sinne: ran an die Ideen, neue Lösungen suchen und annehmen. Bleibt gesund!