„Lege Dein Unglück unter einen dicken Stein und gehe singend und lachend weiter“. An diesen Satz muss ich neuerdings denken, wenn ich an dem riesigen Findling vorbeigehe, der unsere Westeinfahrt schmückt. Er kommt in einer lettischen „Daina“ vor, einem alten Volkslied, das mir 1989 begegnet ist, während der „singenden Revolution“ im Baltikum. Mit ihren alten bäuerlichen Liedern kämpften damals die Balten für ihre Unabhängigkeit von Moskau und machten einander Mut.
Wir alle haben solche Geschichten im Gepäck, aus denen wir in Krisenzeiten schöpfen. Singen und lachen spielen darin fast immer eine große Rolle. Und wir spitzen gerade – noch mehr als sonst – die Ohren, wenn irgendwo solche Töne zu hören sind. Auf der Westseite ist in diesen Tagen viel Gelächter, rund um die Tischtennisplatte ein Juchzen und Krakeelen. In der Ruhe-Oase wird laut gelacht, Kaffeetrinken unter den Eichen, lange vermisst und endlich wieder. Abends am Feuer, in der ersten lauen Nacht, spielt wer Gitarre, vergnügtes Gekicher, immer wieder – unverkennbar – die Stimme von Lou. Ada hat Wini zum Lachen gebracht: Er entdeckte sie in der Wildblumen-Wiese, ein weißblonder Pferdeschwanz, der sich wippend durchs hohe Gras bewegte, sie verfolgte offenbar Kater Manic…
Das Christi Himmelfahrtswochenende ist zweigeteilt: Sonne und Wärme, Freitagabend setzt Regen ein, erst heftig, dann sanft, insgesamt sehr ergiebig. Samstag hacken fleißige Gärtner*innen die Beete durch, Verschönerungspläne liegen auf dem runden Tisch unter den Eichen, irgendwas wird mal wieder ausgeheckt.
Auf dem Weg zum Briefkasten sehe ich Nina auf dem Weg schmal und schön, mit dickem Bauch – in zwei, drei Wochen wird sie ihren dritten Sohn zur Welt bringen. Wir alle freuen sich darauf.
Morgen, am Sonntag, soll nach zweieinhalb Monaten Pause das erste LeNa-Plenum stattfinden. Unter freiem Himmel, anschließend Singen. Noch ein Stück Normalität!
Im heutigen Tagebuch werden Geschichten von der „Normalisierung“ erzählt. Der zehnjährige Günter ist wieder in der Schule und berichtet von den ersten Tagen. Berta von ihrem Alltag im Klinikum, der nach der „Corona-Verschnaufpause“ schon fast wieder im üblichen Wirtschaftlichkeits-Modus läuft. Clara schaut auf die Krise zurück und nach vorn, denkt über die Ängste nach, die wir in unserem „emotionalen Rucksack“ haben, und wie wichtig Leichtigkeit, Zuversicht und Humor sind.
Und noch etwas: Unsere Redaktion (Frauke und Polly, Wini und Ulla) hat sich unter den Eichen getroffen und beschlossen, das Tagebuch vorerst zu beenden. Eine letzte Ausgabe wird kurz nach Pfingsten erscheinen – eine kleine persönliche Bilanz und ein Ausblick…
Ulla
Stimmen – Beiträge – Interviews
Günter (10) – ein Gespräch
Er ist der erste bei LeNa, der wieder in Schule durfte. Die Viertklässler kamen bevorzugt dran, weil der Übergang in weiterführende Schulen bevorsteht.
Günter hat sich auf die Schule gefreut. Immer nur „homeoffice“ ist langweilig – zu viele Aufgaben, die er allein bewältigen muss.
Aber es ist nicht so wie vor Corona – nur zwei Tage Schule in der Woche, und nur in kleinen Gruppen. Zu siebt werden sie unterrichtet, vier Mädchen und drei Jungen, leider sind seine liebsten Kumpel, außer einem Freund, in der Parallelgruppe, die an anderen Tagen Schule hat.
Abstand halten natürlich, aber daran war der Zehnjährige schon gewöhnt.
Er sagt, dass er mit der Corona-Zeit eigentlich ganz gut klar kommt.
Im Herbst würde er am liebsten zur neuen IGS Kreideberg wechseln. Wenn das nicht klappen sollte, wird er ins Gymnasium Herderschule gehen. Bei der Zulassung und der Unterrichtsorganisation, glaubt er, wird Corona noch eine Rolle spielen.
Berta
Clara
Oder Ist die Angstpandemie schon gefährlicher als die COVID 19 Ausbreitung?
Beruflich wie privat und auch für unser Zusammenleben bei LeNa beschäftigen mich z. Zt. sehr die psychischen Auswirkungen dieser herausfordernden Corona Zeit
Aus diesem Grund finde ich wichtig, dass wir bei LeNa im Austausch bleiben: Für unser 1. Plenum nach dem Lockdown morgen haben wir im Garten deshalb auch Anregungen für einen Austausch vorbereitet.
Corona-Einfluss auf LeNa:
a) Welche Sorgen beschäftigen mich?
b) Welche Vereinbarungen sind mir wichtig?
c) Mit welchen bestehenden Vereinbarungen habe ich Schwierigkeiten?
„Wir reisen alle mit Gepäck“: Unsere emotionalen Rucksäcke sind über die Lebensjahre sehr unterschiedlich gefüllt. Diese Verschiedenheit ist ja auch eine wunderbare Ressource für unser Mehrgenerationen-Zusammenleben.
Jetzt in diesen herausfordernden Zeiten, in denen unsere drei Kernbedürfnisse (nach Gabriela von Witzleben) verletzt werden, werden unsere Reaktionen und unser Verhalten mehr denn je von unserem emotionalen Rucksack geprägt.
Unsere Autonomie wird durch die einschränkenden Maßnahmen, die wir z. Zt. erleben, massiv eingeschränkt, das Gefühl von Überblick und Orientierung fehlt, an vielen Stellen, da niemand ganz genau weiß, wie und wie lange es so weitergeht und unser Bedürfnis nach Beziehung können wir gerade nicht so leben, wie wir es uns wünschen und wie wir es dringend bräuchten.
In diesem Zusammenhang stößt mir die Sprache auf, die wir täglich mit jeder neuen Kontaktregel zu hören bekommen: Kontakt nur innerhalb einer Familie oder eines Hausstandes, eines Haushalts. Die Alleinlebenden werden dabei nie erwähnt.
Keiner weiß, wie lange diese Beschränkungen noch aufrechterhalten werden. Wie lange sollen die Alleinlebenden noch isoliert leben? Werden sie noch in diesem Jahr einmal wieder mit anderen an einem Tisch sitzen? Wann werden sie wieder haushaltsfremde Freunde in ihre Wohnung einladen?
Immer wieder höre ich, besonders in Seniorenheimen, dass manche, wenn sie selbst bestimmen könnten, eher eine Corona Erkrankung riskieren würden, als die seelische Isolation weiter ertragen zu müssen.
Wer soll da eigentlich wovor geschützt werden?
Eva Rosenkranz (Psychologische Beraterin und Coach) hat vorgeschlagen, statt von „social distancing“ (also sozialer Distanz) eher von „spatial distancing“ (also räumlicher Distanz) zu sprechen. Das macht einen Unterschied. Menschliche Nähe und Beziehung sind heilsam und wichtig und brauchen wir in solchen Zeiten mehr denn je. Somit sollten wir möglichst viel soziale Nähe bei räumlicher Distanz leben (Matthias Varga von Kibéd).
In dem Zusammenhang verfolge ich mit hohem Interesse den Blog von Dr Michael Bohne (Psychiater und Psychotherapeut)
Folgender Beitrag von ihm hat mir besonders gefallen: Ist die Angstpandemie schon gefährlicher als die COVID 19 Ausbreitung?