Auch Polly richtet ihren Blick nach Afrika, wo sie als Mitarbeiterin in der Entwicklungszusammenarbeit unterwegs war. Und zwar nach Ruanda, dort wird in diesen Tagen kwibuka begangen, das jährliche Gedenken an den Genozid 1994. Sie legt einen Text von 2012 bei, den sie nach einem Besuch der Gedenkstätte im Dorf Murambi geschrieben hat. Passend zu unserem Gedenken an die Opfer des NS-Regimes, 75 Jahre nach Kriegsende.
Stimmen – Beiträge – Interviews
Anni
Erst dachte ich mir, dass ich nicht wirklich Interessantes beizutragen hätte. Nun habe ich eine weitere fast schlaflose Nacht verbracht.
Die Hälfte der Zeit verbringe momentan nicht bei LeNa, sondern auf dem Land, bei meinem Freund. Seinem fotografisch freiberuflich tätigen Sohn in Paris, der die Zeit der Ausgangssperre hier mit uns verbringt, bricht ein Großteil seiner Aufträge weg.
Für mich als Rentenempfängerin kann es vermutlich nicht existentiell bedrohlich werden. Ganz anders sieht es jetzt schon aus für meine von freiem Theater und Zirkus lebende Tochter (in Andalusien) sowie ihrem spanischen Freund und all ihren Freunden dort. Seit sechs Wochen erleben sie weltweit die striktesten Ausgeh- und Arbeitsverbote ohne dass für sie Ausgleichszahlungen, Sozialleistungen oder Mietreduzierungen o. ä. zur Verfügung stünden. In einem Land mit einer sehr hohen Jugendarbeitslosigkeit und Gehältern von netto 4-5 €/Std. selbst für Erzieher*Innen schon vor der Corona-Krise stehen die Chancen schlecht für einen Job zur Überbrückung.
Anderthalb Jahre engagierte und harte Arbeit mit ihrer jungen Theatercompany, bestehend aus vier Frauen, sind verloren, denn alle Festivals und Aufführungen für dieses Jahr sind bereits abgesagt worden!
Viele Fragen tun sich auf.
Was werden sie tun, um zu überleben?
Werden sie zurückkehren können zu ihrer Kunst, die ihnen so sehr am Herzen liegt?
Werden sie die Kraft finden für einen Neustart und wann wird das sein können?
Wird es ganz andere berufliche Orientierungen geben müssen und was wird überhaupt möglich sein?
Fragen über Fragen, die mich nachts umtreiben. Und da ich es jetzt einmal aufgeschrieben habe, kann ich vielleicht ein Stück besser loslassen und Vertrauen in die Fähigkeiten dieser jungen Menschen setzen, kreative Lösungen für sich zu finden. Und darauf bauen, dass es auch gesellschaftliche Antworten auf diese Fragen geben wird.
Uwe
Noch wichtiger ist es für mich, über den Tellerrand zu gucken. Empathie und Hilfsbereitschaft können ja nicht am Gartenzaun enden. Die Schreie nach Hilfe sind unüberhörbar, nicht nur bei Spargelbauern. Da sollte der Blick auch in die Ferne schweifen. Ich bin im Austausch mit Lutz van Dijk, der uns hier im letzten Sommer besuchte und einen mitreißenden Vortrag hielt. Über das Kinderheim HOKISA, das er im Township Masiphumelele bei Kapstadt mit aufgebaut hat. Ein Waisenheim für aidskranke Kinder. In dem Township leben 40.000 Menschen unter miserablen Bedingungen. Jetzt kämpfen sie mehr denn je ums Überleben, auch die Kinder und Mitarbeiter von HOKISA. Sie brauchen unsere Unterstützung – ideell, aber auch materiell durch Spenden! „HOKISA darf nicht schließen, diese Kinder haben nur uns“, schreibt Lutz. Und er schickt ein Foto mit von vier HOKISA-Kindern, die glücklich ihre gerade gefundenen Ostereier zeigen.
Fenster in der Genozid-Gedenkstätte Gisozi
Polly
Schon in „normalen“ Jahren ist das den deutschsprachigen Medien nur wenige bis gar keine Zeilen wert, aber in Tagen von Corona wird noch weniger über Afrika-Themen berichtet als ohnehin. Mir geht es ein wenig wie Katharina, die kürzlich darüber schrieb, wie gerade so viel Leid und Not in anderen Ecken der Welt vergessen werden. Natürlich können wir das nie gegeneinander aufwiegen und selbstverständlich beschäftigen uns die Dinge, die uns direkt berühren, viel unmittelbarer.
Nun ist eine Pandemie wie wir sie gerade erleben kein Völkermord, man kann das in keinster Weise vergleichen. Aber dadurch, dass ich durch den Kurznachrichtendienst Twitter mehrmals täglich an kwibuka 26 erinnert werde, ist mir das Thema gerade sehr nahe. Das Kigali Genocide Memorial, lässt zahlreiche Zeitzeug*innen zu Wort kommen. @Kwibuka26 dokumentiert, was am jeweiligen Tag vor 26 Jahren passiert ist. Etwa das Massaker in der Kirche von Nyamata, in der am 15. April 1994 über 10.000 Menschen umgebracht worden sind.
Ich habe diese Kirche vor 12 Jahren besucht, wie auch einige weitere Gedenkstätten in Ruanda. Vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte war das besonders eindrücklich. Ich spürte da eine merkwürdige „Verbundenheit“ (ein merkwürdiges Wort an dieser Stelle); denn wir Deutsche wissen aus unserer Geschichte, zu welch schrecklichen Dingen jeder Mensch fähig ist. Ich habe damals einen Text über meine Eindrücke geschrieben, den ich kürzlich wieder gelesen habe – Leid ist universell, Leid ist allgegenwärtig, was wir tun können und müssen ist, einen aufrichtigen und verantwortungsvollen Umgang damit zu finden.
Zu meinem Artikel von 2012
Katharina
Ärzte, Betten überall,
Forscher forschen, Gelder fließen,
Politik mit Überschall.
Also hat sie klargestellt:
Wenn sie will, dann kann die Welt.
Das Krepieren in den Kriegen,
Das Verrecken vor den Stränden
Und dass Kinder schreiend liegen
In den Zelten, zitternd, nass.
Also will sie. Alles das.
Ulla – Begegnung mit Toni (9)
Azteken oder Inkas? War die Frage, beide Hochkulturen interessieren ihn sehr. Er entschied sich schließlich für die Inkas. Schon vor einer Weile hatte er ihre Kultur im dem Hörspiel „Die Inka-Mumie“ ein wenig kennengelernt. Mithilfe eines reich bebilderten Buches reiste er in die Vergangenheit Südamerikas, sechshundert Jahre und mehr zurück.
„Und wie viele Frauen hatte der Sapa Inka?“ – „Er durfte mehrere haben. So um die drei.“ Toni lacht, und ich auch. „Aber lange nicht so viel wie Ramses. Der hatte hundert, den Rekord knackt so schnell keiner.“
„Und wie lebten die normalen Inkas so?“ Bekanntlich sind solche Fragen am schwierigsten zu beantworten, denn das Leben er einfachen Leute hinterlässt meistens wenig Spuren. „In Hütten aus Stein lebten sie“, sagt Toni, „die Mauern waren ohne Mörtel, wie ein Puzzle zusammengesetzt.“ Sie aßen Mais, er galt als heilige Pflanze, aber Popcorn kannten die Inkas nicht. Sehr wichtig war die Kartoffel, in einem speziellen Verfahren wurden sie gefriergetrocknet. In Frostnächten wurden sie auf den eisigen Boden gelegt, tagsüber taute die Sonne sie wieder auf. Nach ein paar Tagen wurden sie gründlich zertrampelt, um die Feuchtigkeit zu reduzieren. Am Ende waren sie konserviert: kleine, schrumpelige, schwarze Dinger, genannt „Chuño“. Angeblich waren sie Jahre lang haltbar.
„Meerschweinchen aßen die Inkas gerne…und …“Stoff für einen ganzen Nachmittag, aber wir halten uns an die Corona-Regeln, 15 Minuten müssen reichen. „Die Inkas finde ich ein bisschen sympathischer als die Ägypter“, meint Toni noch. „Beides sind Hochkulturen“, da dürfe man nicht so streng urteilen.
Und dann bringt er noch ein neues Thema auf: „Ich kann mir vorstellen, dass ich später mal eine eigene Stadt entwerfe.“ Gerade ist er dabei, eine „Stadt der Affen“ zu planen. Inspiriert dazu hat ihn der Song „Stadtaffe“ von Peter Fox. In richtigen Wohnungen, „wie bei LeNa“, sollen die Affen leben. Diese sind nur mit Netzen erreichbar, nicht über Treppen und Aufzüge. Ein ganzes System von Netzen wird er zeichnen. Es gibt auch ein Regierungszentrum, das „Affitool“.